David Graeber: "Ein Drittel unserer Jobs ist sinnlos"


Artikel verfasst von

Maike

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STANDARD: In Ihrem gleichnamigen Buch schreiben Sie über Bullshit-Jobs. Was ist das?

Graeber: Es ist kein mieser Job, das wird leicht verwechselt. Ein Bullshit-Job ist nicht unangenehm, schlecht bezahlt und ohne Status, sondern oft das Gegenteil. Das Wesentliche ist, dass derjenige, der einen Bullshit-Job ausübt, sich insgeheim denkt: Es gibt keine Existenzberechtigung für meine Tätigkeit. Wenn Sie glauben, dass die Welt ohne Ihre Tätigkeit gleich oder sogar etwas besser wäre – das ist ein Bullshit-Job. - 

STANDARD: Es liegt also an der Selbsteinschätzung, ob man die Welt verbessert?

Graeber: Ja, ob man die Welt überhaupt tangiert. Viele gehen, meist in einem Büro, einer Tätigkeit nach, von der sie selber denken, dass eine Software das in 20 Minuten erledigen könnte.

STANDARD: Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, dem nachzugehen?

Graeber: Ich bin oft Menschen auf Veranstaltungen, auf Partys begegnet, meist Akademikern, die auf die Frage nach ihrem Beruf sagen: "Ich mache nichts wirklich." Zuerst dachte ich, sie seien bescheiden, aber wenn man nachfragt, kommt man drauf, dass sie es wörtlich meinen. Sie sitzen den ganzen Tag herum und schauen unbemerkt Katzenbilder im Internet. - derstandard.at/2000092808241/David-Graeber-Ein-Drittel-unserer-Jobs-ist-sinnlos

STANDARD: Kommt sicher vor, aber Sie meinen wirklich, das sei weitverbreitet?





Graeber: Das wollte ich eben herausfinden. Ich wollte wissen, warum wir trotz der Digitalisierung und der Automatisierung keine 15-Stunden-Woche haben. Die Roboter werden uns nicht erst in Zukunft die echte Arbeit wegnehmen, sie haben es ja schon getan. Von den Berufen, die es 1950 gab, existiert heute nur mehr die Hälfte.

STANDARD: Kutscher verschwinden, Programmierer kommen dazu, das sind ja keine Roboter.

Graeber: Ja, aber viele von den neuen Jobs sind eben nutzlos. Sie wurden erschaffen, weil es für unser System so bequem ist.

STANDARD: Sie haben ja hunderte Beispiele gesammelt.

Graeber: Ja, die meisten Bullshit-Jobs, die mir unterkamen, waren im mittleren Management und generell Bürotätigkeiten. Wir glauben fälschlicherweise, dass unser Wohlstand darauf basiert, dass der Dienstleistungssektor seit den 1930ern so stark gewachsen ist. Viele denken, weil Roboter in den Fabriken stehen, machen wir einander komplizierte Caffè Latte oder Designer-Sushi. Aber tatsächlich ist der Anteil der Menschen, die echte Dienstleistungen erbringen, wie Haare schneiden oder Essen servieren, seit den 1930ern ziemlich gleich bei rund 20 Prozent geblieben.

STANDARD: Der Dienstleistungssektor ist aber stark gewachsen.

Graeber: Genau, weil sich der Anteil der Bürojobs verdreifacht hat, viele davon nutzlos. Das habe ich zuerst in einem Essay geschrieben. Darauf gab es so viel Widerhall, aber auch Geständnisse von Menschen, die ihren Beruf als Bullshit-Job sehen. Ich bekam Zuschriften wie: "Ich bin ein Unternehmensanwalt, ich trage nichts bei."

STANDARD: Anekdoten schön und gut, aber wie hoch ist der Anteil solcher Jobs wirklich?





Graeber: Ein Drittel, wie Umfragen zeigen. Zumindest in Großbritannien sagten nur 15 Prozent der Befragten, dass sie sicher seien, dass ihr Job etwas zur Welt beitrage. 13 Prozent waren sich unsicher und 37 Prozent waren sich absolut sicher, dass sie in ihrem Job keinen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das hat mich schockiert. STANDARD: Zwischen Weltverbessern und komplettem Nutzlos-Sein gibt es aber Abstufungen. -